Vernichtete Cannabispflanzen und ein Freispruch

Ein Mandant wurde an der Grenze mit ein paar Gramm angehalten und will jetzt eine Vorbelastung im Bundeszentralregister vermeiden und fragt uns zu Recht, ob die Führerscheinbehörde sich melden wird. Ein Mandantin und junge Mutter, die gerade eine Hausdurchsuchung hatte ist besorgt um ihre Freiheit. . Es sind Geschichten, auch wenn jede einzigartig ist, die Kanzleialltag / Routine sind.

Routine ist beruhigend, weil Sie natürlich nicht wollen, dass Sie ein ein Arzt im praktischen Jahr betreut, der das erste Mal nun an Ihrem Blinddarm übt. Auf der anderen Seite sind es natürlich die Fälle, die einen Strafverteidiger immer reizen, die besonders eigen, skurril und aus der Norm fallen. Hierin besteht die Lust an der Verteidigung. Es sind die Fälle, die im Gedächtnis bleiben. Routineeingriffe, sollten mit Selbstverständlichkeit und Einsatz verteidigt werden, die nicht einmal erwähnenswert sind.

Ein Schöffengericht in NRW. Der Mandant unterhielt eine Cannabis-Plantage. Nichts ungewöhnliches, verteidigt doch unsere Kanzlei seit 2005 Betäubungsmittelstraftaten im Ermittlungs- und Strafverfahren im Bundesgebiet. Viele Cannabisanbauer setzen auf unsere Strafverteidigererfahrung. Nach der Verteidigung von mehr als 10.000 Verfahren im Bereich des Strafrechts sicherlich mehr als nachvollziehbar.

Ausgangslage also normal. Die Beamten hatten die Cannabispflanzen abgeholzt und im Zuge der Hausdurchsuchung sichergestellt. Der „normale“ Weg ist dann, dann diese getrocknet und in der Regel an das zuständige LKA  übersandt werden, so dass ein Wirkstoffgutachten erstellt werden kann. Es sind nämlich nicht das Volumen der Pflanzen, also das sichergestellte Cannabiskraut, Stengel, Blüten, Blattwerk und Pflanzenreste relevant, welches manchmal mehrere tausend Gramm beträgt, sondern wie viel THC tatsächlich sichergestellt wurde. Auf den Wirkstoffgehalt kommt es an.

Wirkstoffgehalt und sichergestellte Mengen 

Der tatsächliche Wirkstoff ist nicht nur kriegsentscheidend bei der Frage, ob es sich um eine nicht geringe Menge oder eine geringe Menge handelt (7,5 g THC), sondern ein wesentlicher Faktor für die Strafzumessung.

Damit steht oder fällt, ob Sie eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe für eine Hanfplantage erhalten oder ob die Cannabisplantage zum Amtsgericht oder Schöffengericht angeklagt wird. Bei weniger, als der nicht geringen Menge, laut BGH (7,5 g THC), können wir sogar in vielen Fällen das Verfahren außergerichtlich beilegen.

Es ist im Übrigen (gerade bei Haftsachen) auch nicht ungewöhnlich, dass Wirkstoffgutachten – erst nach Anklageerhebung – nachgereicht werden. Manchmal schlabbert das LKA oder die Gutachten gehen verschütt. Ohne Wirkstoffgutachten kann aber ein Amts- oder Landgericht in der Regel nicht zu einem Ergebnis kommen.

Zum Verständnis: Es könnte sich um THC freien Hanf handeln bzw. man kann ja nicht einmal unterscheiden, ob der Strafrahmen des § 29 I BtMG oder § 29a BtMG anzuwenden ist. Dies ist zu betonen, weil es mehr oder weniger eine Selbstverständlichkeit ist und unter Profis nicht einmal einer Erörterung bedarf.

sichergestellte Cannabispflanzen vernichtet 

Vorliegend sollte es aber anders kommen.

Aus der ergänzenden Akteneisicht ergab sich, dass das sichergestellte Marihuana vernichtet wurde. Die Polizei lagert das Cannabis, nachdem sie es bei einer Hausdurchsuchung sichergestellt hat, ein. In eindeutigen Fällen, in dem eine nicht geringe Menge vermutet wird, wird das Hanf dem Landeskriminalamt zugeführt, um den Wirkstoff zu ermittelt.

In Grenzfällen, bspw., wenn die Menge nicht groß ist oder „nur“ Stecklinge sichergestellt wurden, dann verzichtet man gerne hierauf, zu Gunsten des Beschuldigten.

Eine Cannabispflanze, die nur ein Steckling ist, hat kaum THC. Hierbei wird man von maximal 1 – 2 % Wirkstoffanteil THC ausgehen.

Mit dem Wachstum wird eine mittlere Pflanze um die 5 % THC – Anteil produzieren, also ein Anteil, der kaum einen Rausch auslöst.

In der Blütezeit  wird sich der Wirkstoff bereits über 8 % aufwärts entwickelt haben.

Eine Cannabispflanze – je nach Sorte und Pflege wird in der Regel einen THC – Wirkstoffanteil von 10 – 14 % haben, was im Homegrowing – Bereich keine Seltenheit ist.

Haze – Sorten werden erfahrungsgemäß ab 16 % – THC abwerfen, aber das sind Spitzenwerte und werden selten im Bereich des semiprofessionellen Homegrowings erreicht, trotzdem machbar.

Um es zu verdeutlichen: Ab einer Menge von 75 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffanteil von 10 % THC sieht der Gesetzgeber eine Freiheitsstrafe von 1 – 15 Jahren vor.

In diesem Fall hatte offensichtlich die Kommunikation zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft nicht funktioniert und anstatt die sichergestellten Pflanzen dem LKA zuzuführen, wurde das Cannabis der Müllverbrennungsanlage zugeführt.

Es wird sicherlich den ein oder anderen Leser geben, der sich freiwillig anbieten würde, als Cannabisverbrenner hauptberuflich zu verdingen um den abendlichen Joint zu umgehen, aber wir wollen verdeutlichen, dass wir die Aufnahmekriterien für diesen Berufszweig nicht kennen.

Tag der Hauptverhandlung, der Verteidiger hoch motiviert und in Erwartung, wie Gericht und Ankläger die sich aufdrängende Misere meistern würden.

Die Sache wurde aufgerufen, die Anklage verlesen und dann die Überraschung, dass der Angeklagte keine Angaben zur Sache machen wird. Und dann die Frage meinerseits, ob denn mittlerweile das Wirkstoffgutachten vorläge. Man kann ja als Verteidiger, ohne sofort in den Krawall – Modus zu verfallen, mal höflich nachfragen.

Das Gericht meinte, dass dieses „noch“ nicht vorläge.

Ein durchaus sehr gute Antwort in Anbetracht der Sachlage, dass das Cannabis vernichtet wurde. Mithin ein Gutachten niemals vorliegen wird …

Es drängte sich hier durchaus der Verdacht auf, dass das Gericht – zur Vorbereitung auf den Hauptverhandlungstermin – nicht die Akte genau gelesen hätte, was immer wieder mal vorkommen mag. Dann heißt es: Vorteil Strafverteidiger.

Das Gericht zog sich zur Beratung zurück und kam mit dem Ergebnis zurück:

„Bei 700 g sichergestelltem Cannabis muss es sich zwangsläufig um eine nicht geringe Menge handeln. Dafür bräuchte man kein Wirkstoffgutachten.“.

Man würde denken, dass das der Punkt ist, in dem die Staatsanwaltschaft – immer (vermeintlich) klüger als der Verteidiger einschreitet um Recht und Gesetz zu retten. Hier nicht so. Die Staatsanwaltschaft teilte die pauschale Ansicht und wollte den Mandanten anbieten, diesen in einem „minder schweren Fall“ zu einer Bewährung zu verurteilen.

Keine Pflanzen. Keine Strafe.

Ich habe, wenn wir schon über einen „Deal“ sprechen, angeboten, den Mandanten freizusprechen.

Reaktion: „Was das denn soll?“.

Als Verteidiger gehen einem bei einem solchen Unsinn viele Dinge durch den Kopf. Man wird zu Recht belehrend, man erklärt die Grundzüge des Betäubungsmittelstrafrechts und dass man alleine mit einer Sprungrevision hier das Urteil torpedieren könnte, wenn der Mandant – wie auch immer – zu einer Strafe verurteilt wird, wenn nicht einmal das Asservat selbst untersucht wird. Stellt man einen Antrag auf Untersuchung, der offensichtlich und aktenkundig nicht mehr vorhandenen Drogen? Einen Befangenheitsantrag wegen den Äußerungen des Gerichts?

Das Gericht kam diesen Überlegungen dann zuvor und wendete Recht und Gesetz an und ersparte dadurch allen diese Peinlichkeiten. Wenn das Dope verbrannt ist, dann gibt es nichts mehr zu untersuchen. Dann kann man nicht „Überlegungen“ anstellen oder Hochrechnungen anstellen, wie man es sich gerade wünscht.

Es hätte sicherlich Verteidiger gegeben, die ihrem Mandanten angeraten hätten, hier zwischen Pest und Cholera zu wählen, wären eingeknickt und hätten sich durch das Gericht verunsichern lassen.

Nach mehr als 10 Jahren Strafverteidigerpraxis und mehr 10.000 Verfahren lassen wir uns nicht beirren, obwohl ich wirklich sagen muss: Ich war sehr irritiert, wie man derart das eigentliche Problem umgehen kann.

Der Mandant mag Glück gehabt haben. Wir werden es nie wissen. Das Schöffengericht und die Staatsanwaltschaft haben mit diesen unnötigen Rauchbomben keinen nachhaltig positiven Eindruck hinterlassen.